Ein Feierabendgarten? Was soll das denn sein?
Vom Labor oder Schreibtisch direkt ins Grüne ... Etwas gärtnern, mit Kolleg*innen schwatzen, Samen und Ernteerträge austauschen. Ob nach der Arbeit oder in der Pause - der Aufenthalt in der grünen Natur leistet einen starken positiven Einfluss auf unser Wohlbefinden und lässt uns nachhaltig entspannen.
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ ist mit vier Standorten in Deutschland vertreten. Der größte davon liegt in Leipzig. Vor zwei Jahren wurde der Unternehmens-interne Wettbewerb "Sustainability Challenge" ins Leben gerufen. Alle Mitarbeitenden waren eingeladen, sich mit Vorschlägen, wie das UFZ nachhaltiger werden kann, zu beteiligen. Ich (eigentlich Sekretärin des Departments Hydrogeologie) schlug unter anderem das Projekt "Feierabendgarten" vor, das eine Streuobstwiese und Hochbeete für die Belegschaft enthielt. Am Standort Halle werden bereits seit mehreren Jahren Hochbeete von Mitarbeitenden gepflegt, leider erleben diese häufiger Ernte-Diebstähle, da die Beete im öffentlichen Raum platziert sind. Das dortige Konzept der jährlichen Neu-Auslosung unter den interessierten Kolleg*innen übernahm ich für mein Projekt und erfragte am Standort Leipzig das Interesse am Gärtnern - die Resonanz fiel sehr positiv aus. Der Vorschlag wurde zwar nicht prämiert, jedoch wurde ich vom Umweltmanagementkoordinator ermuntert, das Projekt in Eigeninitiative weiterzuverfolgen und dem Umweltausschuss vorzustellen. Die Präsentation verlief erfolgreich und das Projekt wurde mit 4.000,00 EUR vom Umweltmanagementsystem EMAS gefördert.
Schnell fand sich ein Planungs-Team zusammen, Baupläne wurden erstellt, Materialien berechnet und Kontakt zu internen und externen Beteiligten hergestellt. Das Konzept "Feierabend" war bereits in der Bauphase Programm.
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Standort Leipzig ist im Wissenschaftspark Leipzig angesiedelt. Dieses Gelände hat eine blutige Geschichte: Seit dem ersten Weltkrieg produzierte der Rüstungskonzern HASAG hier unter anderem Munition und Panzerfäuste, im zweiten Weltkrieg arbeiteten hier Tausende Zwangsarbeiter*innen - viele davon bis in den Tod - die in nahegelegenen KZ-Außenlagern untergebracht waren und zum Kriegsende auf Todesmärsche getrieben wurden. Einige Gebäude und Anlagen des UFZ sind noch aus dem Bestand der HASAG erhalten und stehen zur Erinnerung an die zahlreichen NS-Opfer unter Denkmalschutz. Die Auflagen des Denkmalschutzamtes mussten natürlich bei der Planung berücksichtigt werden, so mussten die Beete als leicht zu entfernen konstruiert werden und durften die Optik der anliegenden Gebäudefassade sowie der Grünanlage nicht stören.
Auch von Seiten des Facility-Managements, das die Grünpflege koordiniert, gab es Auflagen: der Wurzelbereich (entsprechend der Baumkronen) der vorhandenen Bäume durfte nicht bebaut werden, um eine ungehinderte Regenwasser-Zufuhr zu gewährleisten.
Die ursprünglich geplante Streuobstwiese durfte aufgrund der ungewissen Bodenkontamination aus der Rüstungs- und Forschungsvergangenheit des Geländes nicht umgesetzt werden.
Um eine leichte Dekonstruktion der Beete gewährleisten zu können, entschieden wir uns zum Bau von fünf Hochbeeten aus jeweils sechs Industrie-Paletten. Diese sowie Lasur, Schrauben, Kleintiergitter, Hochbeetfolie, Erde und weitere Utensilien wurden bestellt, Holzbretter und Kleinigkeiten im Baumarkt eingekauft. Nach Anlieferung der Paletten galt es, Helfende zu finden - 30 Paletten und mehrere Bretter mussten lasiert, zusammengeschraubt, verkleidet und befüllt werden.
Es wurden Äste gesammelt, Laub von der Grünpflegefirma erbeten und geschreddertes Holz vom Götterbaum, der vor der Kantine gefällt werden musste, in einem Spontan-Einsatz sichergestellt. Die Helfenden kamen aus allerlei Forschungs- und Arbeitsfeldern, verschiedenen Altersgruppen und Nationalitäten. So fand auch eine Vernetzung zwischen sich sonst nicht bekannten Mitarbeitenden des UFZ statt - ein Aspekt, der auch ein wichtiger Teil des Konzepts vom Feierabendgarten ist.
Ein Projekt, das sich über ein halbes Jahr hinzog - immer für ein bis drei Stunden am Nachmittag, kein- bis dreimal die Woche mit 2 bis 8 Anpackenden - wenn das Wetter es erlaubte. Ein großes Thema war die Kommunikation. Am UFZ arbeiten viele Forschende und Studierende, stetig kommen neue Mitarbeitende dazu, andere verlassen den Standort, alle haben viel zu tun. Also fragte ich in größeren Abständen per Rundmail, wer sich im Projekt beteiligen und vor allem tatkräftig unterstützen möchte. Jede Anfrage brachte immer neue Motivierte, während andere sich wieder mehr ihrer Arbeit zuwandten oder zu anderen Arbeitgebenden wechselten. Ein sehr fluides Team sozusagen. Kurz vor Fertigstellung, im Frühling 2024 - es hieß wiederholt Erde schaufeln, Erde schaufeln (insgesamt hatte ich 10 Tonnen Erde bestellt) - brach die Mitarbeitsbereitschaft deutlich ein, aber eine kleine selbsterstellte Grafik, über den Standortverteiler versandt, brachte nochmal frischen Wind und neue Arbeitskraft. So konnten die Beete schließlich fertig gestellt und an die fleißigsten Helfenden vergeben werden. Und dabei haben wir noch ein interessantes Fundstück in der Erde (Mutterboden, vermutlich aus Bau-Aushub) entdeckt: eine 50-Pfennig-Münze von 1922! Na, wenn das kein Glücksbringer ist!
Eine mit Zahlenschloss gesicherte Gerätebox enthält Gartengerät, Handschuhe und jede Menge Saatgut - zusammengestellt aus Spenden von UFZ-Mitarbeitenden und dem Verein Leipzig summt! e. V.
Ein Komposter am Wegrand soll künftig für Humus sorgen.
Ein Zoom-Channel führt alle Interessierten zusammen, hier wird sich zu Arbeitseinsätzen, Pflanzenabgaben usw. ausgetauscht.
Alle Beete sind mittlerweile komplett befüllt, vier von fünf sind an Pat*innen vergeben und tragen bereits Früchte. Es sind noch etwa 2 Tonnen Erde übrig, die nach der Saison auf die bereits leicht abgesackten Beete verteilt werden sollen. Bis dahin warten sie in den zur Erweiterung des Gartens angeschafften Pflanzsäcken.
In den Hochbeeten werden vor allem Obst und Gemüse angepflanzt, dazwischen finden sich aber auch wild angesiedelte Blumen und Kräuter, die von den Gärtnernden großzügig stehen gelassen werden. Marienkäfer kümmern sich um die Blattläuse; Bienen, Schwebfliegen und Schmetterlinge fliegen sprichwörtlich auf die bunten Blüten.
Im Herbst werden Bestäuber-attraktive Blumenzwiebeln um und in den Beeten verteilt, damit Bienen und Falter schon bei ihren ersten Ausflügen im Jahr Energie tanken können.
Um die Beete herum befindet sich eine Wiese, die Ende Mai erstmals im Jahr gemäht wurde und nun dicht mit Klee bewachsen ist, der vor allem zahlreiche Hummeln anlockt. Vorher fanden sich hier hohe Gräser und Wildblumen. Jenseits des Weges findet nur noch wenig Grünpflege statt. Hinter den am Weg wachsenden Pflanzen bis hin zur Außenmauer befindet sich ein Dickicht aus Sträuchern und Bäumen, dazwischen auch ein großer Totholzhaufen, der idealen Lebensraum für Igel und Insekten bietet.
Zur Zeit arbeite ich noch einem Aufsteller, der über das Projekt informiert und einem Logo zum Projekt. Außerdem sollen Schilder den Gärtnernden ermöglichen, ihre Beetanteile persönlich zu kennzeichnen. Material zum Aufbau eines Frühbeetes ist ebenfalls vorhanden und wird bei Interesse voraussichtlich im nächsten Jahr installiert. Perspektivisch wünsche ich mir noch eine Möglichkeit, Regenwasser zur Bewässerung zu nutzen, aktuell wird der Brunnen-Anschluss außerhalb des Gebäudes verwendet.
Standort
04318 LeipzigVorher- & Nachher-Bilder
Heimische Pflanzen
Pflanzliste
Gemüse:
- Zucchini
- Kürbis
- Gurke
- Rettich
- Zwiebel
- Chili
- Tomate
- Blattsalate
Obst:
- Physalis
- Erdbeere
Kräuter:
- Petersilie
Wildes Beikraut:
- Kornblume
- Doppelsame
- Gauchheil
- Brennessel
- Ehrenpreis
- …
Frühblüher:
- Allium (diverse)
- Scilla
- Muscari
- Wildtulpen (diverse)
- Anemone
- Lilie
Gartenstrukturen
Aktionsbilder & Infoarbeit
Jubelbilder
Fläche
10 m²
Anzahl der Projektbeteiligten
20